„Tod im Sommerloch“

Buchtitel Cover – Tod im Sommerloch – ANDI DICK

„Tod im Sommerloch“ erschienen 2017 – Buchcover

Was ist das größere Verbrechen? Einen Skilift sprengen? Oder ihn bauen? Eine Serie von Sabotagen gegen Seilbahnanlagen versaut den vier Skigebieten am Alpenrand das Weihnachtsgeschäft. Übers Internet macht der „Naturator“ Propaganda gegen Erschließungspläne der Konzernchefs. Als es Tote gibt, versuchen die Polizei und ein Internetredakteur, dem Täter auf die Spur zu kommen. Doch er ist ihnen immer einen Schritt voraus.

Bergkrimi oder Politsatire? Der Roman des Alpinredakteurs und Bergführeres Andi Dick spielt in einer fiktiven Bergwelt. Und kommt der Realität dabei manchmal näher, als angenehm ist. Rasant, witzig, abgedreht.

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1. Auflage 2017
292 Seiten, 120 x 185 mm, Softcover
ISBN-13: 978-3-95611-090-0

Bonusmaterial zum Buch „Tod im Sommerloch“

Für alle, die das Buch schon gelesen haben und Lust auf mehr spüren, oder auch für die, die mal in den Stil reinschmecken wollen, gibt’s hier noch ein paar Elemente, die in der endgültigen Fassung nicht mir reingekommen sind oder gekürzt wurden.

Bonustrack 1 – Wer ist Toni Zacher?
Der Liftchef Toni Zacher und der halbseidene russische Geschäftsmann Iwan Lochnow sind die bösen Kräfte im Krimi – Felix Liebergsell hat ihre Machenschaften recherchiert und in diesem Beitrag auf seiner Website berge2go.de beschrieben, der im Krimi dann doch keinen Platz gefunden hat.

Der König und der General – die Herren von Steinöd

Geldwäsche für die Russenmafia? Wem die Aussage des »Naturators« in Steinöd übertrieben erscheint, dem mögen Zweifel kommen angesichts der zwei Männer, die den Tourismusort im Steingäu weitgehend unter Kontrolle haben. Ein exklusiver Hintergrundbericht auf berge2go.de.

»Keine Geldwäsche für die Russenmafia« hatte der so genannte »Naturator« als Plakatbotschaft an die Steinöder Schönalm-Seilbahn gepinnt [Bericht hier]. Ein starkes Wort. Doch schaut man sich die folgenden Lebensläufe genauer an, mag man sich fragen, wo die Grenzen liegen für »normales« wirtschaftliches Verhalten und wo unverfängliche Verflechtungen beginnen brisant zu werden.

Anton »Toni« Zacher (56), Besitzer der Seilbahngesellschaft »Bergerlebnis Steinöd AG« und seit 2000 Bürgermeister, wird auch gerne als »König von Steinöd« bezeichnet. In der Rückschau ist sein Lebensweg ein Weg zu Reichtum und Macht. Geboren in Kirchgaden, ging er dort interessanterweise in die gleiche Grundschulklasse wie seine jetzigen Konkurrenten aus den benachbarten Skiorten: Josef Seegrübler (Kirchgaden), Hans Bachlinger (Berghausen) und Sebastian Mittlermeir (Westerbach). Mit den letzten beiden besuchte er das naturwissenschaftliche Konrad-Adenauer-Gymnasium in Kirchgaden, wechselte aber in der elften Klasse ins Dominikaner-Internat von Holzingen. Die Gründe dieses Wechsels liegen im Dunkeln.

Nach dem Betriebswirtschaftsstudium in Mingelham wurde er 1983 Betriebsleiter der Steinöder Skilifte und wandelte den Betrieb bald in eine AG um, um damit eine umfassende Erschließung der Hänge um die Schönalm zu finanzieren. Die Mehrheit der Aktien erwarben dabei seine Eltern, die in Kirchgaden ein florierendes Notariat besaßen. Sie starben 1987 durch einen Autounfall bei einem gemeinsamen Skiurlaub der Familie, als sie nachts von einer Skihütte ins Tal fahren wollten, um Medikamente für ihren Sohn zu holen, der an Erbrechen litt. Durch ihren Unfall erbte Zacher die Aktienmehrheit der »Bergerlebnis Steinöd AG«.

1988 heiratete er Johanna Winterl, Alleinerbin der Winterl Metall GmbH. 1992 wurde seine Frau aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens als unzurechnungsfähig in die Psychiatrische Klinik Holzingen eingewiesen. Zuvor hatte sie behauptet, Zacher habe das Unfall-Auto seiner Eltern manipuliert; als seine damalige Freundin war sie auf der Skihütte dabei gewesen und hatte ihn entlastet. Nach ihrer Einweisung reichte Zacher die Scheidung ein und ihr Vermögen ging auf ihn über. Der Inhalt des Gutachtens ist leider unter Verschluss; auch warum ein Revisionsantrag abgeschmettert wurde, lässt sich nicht eruieren.

Fest steht nur, dass Zacher mit diesem Finanzpolster 1994 eine quasi feindliche Übernahme der restlichen Aktien der Steinöder Seilbahnen gelang, 1997 setzte er gegen den Widerstand von Naturschutzverbänden die spektakuläre Seilbahn zum Schönberg durch.

Nun ging der erfolgreiche Unternehmer in die Politik: Im Jahr 2000 wurde Zacher zum Bürgermeister von Steinöd gewählt (2006 und 2012 wiedergewählt) und realisierte unter massiver Überziehung des Ortshaushalts diverse Infrastrukturprojekte: 2001 entstand die städtische Kletterhalle, die mittlerweile schon zweimal erweitert wurde, 2005 ersetzte er das alte Heimatmuseum durch das »Alpinum«, eine »Berg-Erlebniswelt« in Ortsmitte mit geologischer Ausstellung, Alpengarten, interaktivem 3D-Modell der Steinöder Berge, Alpinausrüstung zum Anprobieren und ähnlichem.

2007 erschloss er, wieder mit der »Bergerlebnis Steinöd AG«, die einsame Südseite des Schönbergkammes, trotz erneuter intensiver Proteste aus Naturschutzverbänden. 2008 baute Steinöd das Seminarhotel »Peak«, in dem seither regelmäßig der Seilbahnverband seine Tagungen abhält. Mit der »Infrastrukturchance Sonnenhang« gab er 2009 die Südseite des Steinöder Hausbergs Sonnenkopf zur Wohn-Erschließung frei. Auch dagegen gab es Proteste von Naturschutzseite, die die Zerstörung des Landschaftsbildes durch Zufahrtsstraßen und Baustellen beklagten. Bis heute ist der halbe Hang bebaut, hauptsächlich mit großen Villen und Zweitwohnsitzen; auch Zachers eigenes Haus steht dort.

Das Reha-Zentrum »Body Well«, 2010 eröffnet, ist auf eine zahlungskräftige Klientel spezialisiert und genießt internationales Renommée für plastische Chirurgie. Ende 2011, zwei Monate bevor seine zweite Wiederwahl durch einen starken Gegenkandidaten der Grünen gefährdet war, gewann Steinöd den »Förderpreis Regionalentwicklung« und Zacher erhielt den Bayerischen Verdienstorden aus der Hand des Ministerpräsidenten Florian Hinterstoßer. Zufall? Das bisher letzte Bauprojekt wurde 2012 abgeschlossen, das Wellnesshotel »Alp Balance« bei der Talstation der Schönalmbahn.

Die veröffentlichten Meinungen zu Zacher sind geteilt; attestierte ihm der Laudator zum Verdienstorden »eine segensreiche Schaffenskraft zum Wohle der örtlichen Gemeinschaft«, so beklagte der Deutsche Bergeverein beim Sonnenhangprojekt eine »rücksichtslose Opferung gemeindlicher Erholungs- und Biotopflächen für partikulare Wirtschaftsinteressen Einzelner«. Einwohner von Steinöd waren nicht bereit, sich gegenüber berge2go.de mit Namensnennung negativ zu Zacher zu äußern.

Alle jüngeren Bauprojekte unter Zachers Verantwortung wurden realisiert von der Baufirma Constructa GmbH des russischen Unternehmers Iwan Maximowitsch Lochnow (63). Über dessen früherem Leben liegt der Schatten der UdSSR, bekannt ist nur sein Spitzname »Iwan der Schreckliche«. Erst mit seiner Ausreise aus Russland und Ansiedelung in Kirchgaden 2004 werden die Aktivitäten seiner »Black Hole Holding« aktenkundig. Zu diesem Mischkonzern gehören die Cateringfirma Symposion (bekannt durch den Claim »Weil's schmeckt!«) und die Facility-Management-Firma »House Care«, die für die Betreuung der unter Zachers Ägide gebauten Hotels, Liftanlagen und -restaurants langfristige Verträge besitzen.

Lochnows Seilbahnfirma »Line-Up GmbH« (»Kommen Sie auf Draht!«) baute die Liftanlagen auf der Schönberg-Südseite. Seine Ratatrac GmbH (»Aus Freude am Skifahren«) beliefert Skigebiete regional und weltweit mit Pistenpflege-Maschinen. 2009 verlegte Lochnow seine Firmenresidenz in eine große Villa am Sonnenhang, die im Volksmund »Vögelnest« genannt wird. Doch damit hören die Verflechtungen zwischen dem russischen Konzernchef und dem Steingäuer Polit-Unternehmer noch nicht auf: Lochnow sitzt im Aufsichtsrat von Zachers "Winterl Metall GmbH" und der Bergerlebnis Steinöd AG, Zacher seinerseits hat Mandate in den Gremien von Ratatrac, Line-Up und Constructa. Ein Schelm, wer sich dabei etwas denkt.

Bonustrack 2 – Diskussion im DBV-Bergstadel, Langversion
Eine Diskussion über Für und Wider der Berg-Erschließung mit Seilbahnen könnte durchaus noch länger werden, wenn man weitere Interessenten zu Wort kommen lässt. Hier also ein Beispiel, wie sie auch hätte verlaufen können.

Im Foyer des »Bergstadels« herrschte reges Getriebe. Der Bergstadel war das Headquarter des Deutschen Bergevereins, ein dreistöckiger Gebäudeklotz im Herzen von Mingelham mit viel Glas, naturbelassenen Lärchenholzplanken und in zarten Blautönen gehaltenem Sichtbeton; ein Verein mit fast zwei Millionen Mitgliedern brauchte eine standesgemäße Kommandozentrale.

Und wie so oft, wenn der DBV einlud, war die Mingelhamer Alpinschickimickeria komplett vertreten – nicht dabeizusein, wenn man womöglich zur Zielscheibe von Lästerei und Gespött wurde, konnte man sich nicht leisten. Und wenn man nicht da war, war die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass man zur Zielscheibe wurde. Felix sah: einige altgediente Alpinheroen, wettergegerbte Haudegen in fusseligen Faserpelzen.

Zwei, drei aus der Fraktion „jung und wild”, mit Fünftagebart, Fettmähne und Sponsorenbappern auf großkariertem Funktionshemd. Diverse ehrenamtliche Strippenzieher aus dem Verein und seinen örtlichen Sektionen, die ihre Funktionärsgeschwüre unter weiten Jackets oder geräumigen Strickwesten verbargen. Und natürlich etliche Kollegen, von denen einige erfahrungsgemäß vor allem am kostenlos ausgeschenkten Wein interessiert waren (obwohl Weinkenner das kaum nachvollziehen konnten).

Die blaue Enzianblüte, das Wappensymbol des Vereins, prangte mannsgroß über dem Empfangstresen, die Wände waren in pastellenen Abtönungen seines Blau gehalten, aufgelockert durch geometrische Elemente in erdigen Tönen zwischen siena und umbra. Die großformatigen Fotos im Festsaal zeigten Gipfel im Sonnenlicht, glücklich wandernde Paare, Hüttenbesucher bei der Brotzeit, Wettkampfskibergsteiger auf dem Siegertreppchen, murmeltierfütternde Kinder und was sonst noch so zum Portfolio eines alpinen Vollsortimenter-Vereins dazugehörte. Eine zaundürre Vogelscheuche, von einem braunkarierten Sakko umflattert, sprang auf die Bühne und klopfte mit dem Löffel an ein Weinglas, um Ruhe zu schaffen und die Gäste zum Aufsuchen der Sitzgelegenheiten zu motivieren. Felix fand einen freien Platz in der zweiten Reihe und holte Stift, Block und Kamera heraus.

„Guten Abend, meine Damen und Herren, liebe Bergfreundinnen und Bergfreunde“, begann der Mann auf der Bühne, als der Lärmpegel einigermaßen abgeschwollen war, „herzlich Willkommen beim Deutschen Bergeverein. Ich bin Martl Greinstadler, Pressesprecher des DBV, und freue mich, sie begrüßen zu dürfen zu unserer Podiumsdiskussion unter dem Titel »Quo Vadis, Alpentourismus?«. Wir sind ja unter uns, da kann ich ehrlich sein: Wir haben den gegebenen Anlass genutzt, unsere jährliche Pressekonferenz und die angekündigte PK zum Thema Haberfeldjet zusammenzulegen und in einen größeren Rahmen zu stellen. Und der volle Saal gibt uns recht – Ihr Interesse freut uns und ist Beleg, dass der DBV am Puls der Zeit ist.“

Höflicher Beifall. Die blauen Augen im braungebrannten, kantigen Gesicht blitzten. „Ich will Sie auch nicht lange aufhalten, sondern gleich den ersten Gast auf dem Podium begrüßen: Horst Zirndörfer, Leiter der Abteilung »Alpine Raumordnung« im DBV.“ Ein Zwetschgenmanderl in Lodenjoppe erklomm die Bühne, reichte Greinstadler die Hand und machte es sich auf einem Bistrohocker so gemütlich, wie es auf derartigen Sitzmöbeln eben möglich ist. Der Pressesprecher tat es ihm gleich und fragte dann: „Horst, welche Werte stecken für den DBV hinter dem Schlagwort Alpine Raumordnung?“

„Zuerst einmal ein herzliches Grüß Gott, liebe Damen und Herren“, kam statt einer Antwort, „also Alpine Raumordnung bedeutet für uns die Aufgabe, dass wir die Natur einerseits gerne nützen, denn sie bietet uns so viel Naturerlebnis, dass überhaupt gar kein Ersatz für die Sportaktivität in der Natur der Berge denkbar ist. Andererseits sehen wir uns natürlich in der Verpflichtung, sie zu schützen, denn sie nützt uns nur etwas, wenn wir den Nutzen schützen, und nur was man nützt, schützt man auch, weil man nur liebt, was man kennt. Unser Credo heißt also sozusagen: Der Mensch braucht die Natur, die Natur braucht den Menschen. Und da geht doch gewissermaßen das Problem schon los, mit dem Haberfeldjet…“

„Vielen Dank, Horst“, unterbrach Greinstadler, „du gibst mir das Stichwort in die Hand: der Haberfeldjet. Über dieses neue Projekt in unseren Alpen wurde in der letzten Woche viel diskutiert; wir dürfen nun jemanden begrüßen, der als Geschäftsführer der Skiparadies Berghausen-Westerbach GmbH direkt an der Planungsquelle sitzt: Johann Bachlinger!“

Mit einem dynamischen Satz wuchtete sich der Koloss im silbergrauen Wolljanker auf die Bühne, dass sein Nackenzöpfchen unter der Tonsur flatterte, nahm Platz und fing gleich an zu reden: „Guten Abend, und danke für die Einladung. Sie kennen ja den Satz: Entweder man geht mit der Zeit, oder man geht … mit der Zeit. Wir wollen uns nicht von der Entwicklung überrollen lassen, sondern nehmen die Herausforderung an, durch stetiges Wachstum Nachhaltigkeit für kommende Generationen zu sichern. Und dazu gehört eben eine gewisse kritische Größe für ein Skigebiet. Ich möchte keine Namen nennen, schon gar nicht in der aktuellen Situation, aber schauen Sie sich doch einmal an, ob man alleine mit einer Weltcupabfahrt am Markt bestehen kann? Na eben. Nur der Haberfeldjet garantiert, dass unsere wunderschöne alpine Kulturlandschaft, die die Menschen unserer Region über Generationen hinweg geschaffen haben, nicht verlassen wird und zuwuchert, wenn die Eltern und Kinder ihren Lebensunterhalt nicht mehr in ihrer Heimat verdienen können.“

„Vielen Dank für diesen Einblick in die Hinter- und Beweggründe eines Tourismusmachers“, sagte Greinstadler, „aber zum Begriff Nachhaltigkeit gibt es natürlich unterschiedliche Vorstellungen. Vielleicht kann unser nächster Gast dazu etwas sagen: Stefan Nixlinger, Vorsitzender der »Alpine Wildlife Friends«.“

Der Umweltschützer war ein sportlicher junger Mann etwa in Felix' Alter in Jeans, T-Shirt und Lederjacke mit schwarzem Vollbart, der seinen Steingäuer Dialekt nur mühsam bändigte: „Griassach midnand, jo dui Nachhaltigkeit, des isch oine vo de meischtverbrauchte Hohlphrase überhaupts. Des hoißt nämlich ursprünglich, dass mr nur grad so viel nemmt wie nochwachst. Desdrum muass i dem Herr Bachlinger widrspreche: a nochhaldigs Wachstum isch a Widrspruch in sich, oddr! Nochhaldig hoißt jo grad, dassd mr it ällat meh will, oddr!“

Szenenapplaus belohnte diese vehemente Tirade. Felix checkte den Kameramonitor – gut erwischt: die brennenden blauen Augen gaben dem Gesicht eine Intensität, die das Publikum in den Bann seiner drängenden Worte schlug. „Lueget uich doch emol o, was abgoht do dusse in de Berg: ällat werd no a nuis Klepperatatsch nagschtellt: Do e Seilbahn, do en Windkraftrotor, do en Klettersteig, do an Speichrsee. Abr d'Natur, de kaasch nur einmal vrkaufe, underm Beton wachst nix nach. Dadra miand'r denka, ned bloß an de Spaß beim Sport odr ans Geld von heut. I go au gern z'Berg, abr i mecht gern, dass meine Enkel ihre Kinder de gluiche Spaß dra hend wia i! Oddr!“

Heftiger Applaus begleitete das leidenschaftliche Statement; Bachlinger wand sich unruhig auf dem ohnehin viel zu kleinen Bistrohocker. Greinstadler machte ein Handzeichen in die erste Reihe, und als ein durchtrainierter Sportstyp in neongelber Softshelljacke, mit Ziegenbart, Dreadlocks und Baseballcap aufs Podium hechtete, rief er in den Tumult: „Danke Stefan Nixlinger! Und nun begrüßen Sie mit mir den Profi-Freerider Hiasi Markner! Hiasi, was bedeutet das Projekt Haberfeldjet für einen Skipro wie dich?“

Hiasi musste seine Sonnenbrille etwas zurechtrücken, um seinen Sitzplatz zu finden, dann steckte er die Hände in die Taschen der Baggypants und erklärte: „Weißt, Martl, die Sache ist einfach: Zum Skifahren brauchst halt an Schnee. Und wenn's den nicht in Berghausen hat, muss ich halt ins Ödstal fahren oder in die Schweiz. Ist das dann Umweltschutz, wenn ich dreimal so weit fahren muss, auch wenn ich ein Hybridauto hab? Für mich sind Investitionen in heimische Skigebiete, wie der Beschneiungsteich an der Sauleiten, aktiver Umweltschutz: Sie schaffen Planungssicherheit für den Familienurlaub an Weihnachten. Und kreative Verbindungsbahnen wie der Haberfeldjet machen die heimatnahen Gebiete sogar für uns Profis wieder attraktiv. Es bleiben genug Berge, die für Skilifte und Tourismus nicht interessant sind; der Naturschutz muss nicht den Menschen hintanstellen.“

„Genau das verlangen wir ja mit dem Ansatz der Alpinen Raumordnung!“, meldete sich Horst Zirndörfer zu Wort, „eine sinnvolle Aufteilung des alpinen Raums in Zonen intensiver Nutzung, wo sogar Neuerschließungen denkbar sind, und in Ruhezonen, wo die Natur weitgehend ungestört bleiben soll. Und das Haberfeld ist eben eine solche Ruhezone, sogar als Naturschutzgebiet ausgewiesen.“ „Für uns muss der Naturschutz immer dem Wertevergleich mit dem Schutzgut der öffentlichen Wohlfahrt, der Zukunftsfähigkeit künftiger Generationen, standhalten“, hielt Bachlinger dagegen. „Eure Werte sind ja nur die auf dem Konto, ihr presst noch den letzten Cent heraus, bis von der Natur gar nix mehr übrig ist“,

Zirndörfers Gesicht rötete sich, beim Reden versprühte er kleine Speicheltröpfchen. Bachlinger blieb cool: „Ist etwa ein Verband mit zwei Millionen Mitgliedern wirtschaftlich unabhängig? Ihr müsst Eure Hütten auch immer hotelähnlicher ausbauen, damit die Geister, die ihr ins Gebirge ruft, euch nicht überwältigen. Wo bleibt die Bergromantik auf diesen computergesteuerten Glas-Beton-Kästen?“ „Jo, mr muass halt ällat genau hiluege, was mr duad“, versuchte Nixlinger zu vermitteln, „klar isch ällat, dass mr mit Prinzipiereiterei heit nimme zrächt kummt. Die Gedanken sind frei, hoißt's, abr was mr duad, do muaß mr abwäga.“ „Na da kommen wir ja schon gleich in eine heiße Diskussion“, mischte sich Greinstadler ein, „aber bevor wir der freie Bahn lassen, möchte ich noch unseren Gast Nummer last but not least aufs Podium bitten: die Präsidentin des Deutschen Bergevereins, Sibylle Bierenbaum!“

Unter verhaltenem Klatschen des Publikums bezog die DBV-Präsidentin ihren Platz neben dem Pressesprecher: eine sportliche, mittelgroße Frau Mitte fünfzig mit schwarzem Bürstenhaarschnitt und schmalen, sonnengedörrten Wangen. Zur enzianblau getönten Mikrofaserhose und ebensolchem Hemd des DBV-Sponsors trug sie eine graue Kostümjacke.

„Dass der Deutsche Bergeverein kritisiert wird, ist für uns keine neue Situation“, begann sie, „nur wer nichts tut, macht keine Fehler. Als unser Verein vor über hundert Jahren gegründet wurde, hätte keiner geglaubt, dass wir heute fast zwei Millionen Mitglieder haben, zweihundert Berghütten und zwanzigtausend Kilometer Wanderwege – aber auch 150 Kletterhallen und Nationalmannschaften für Skibergsteigen und Klettern. Unser Portfolio hat sich diversifiziert, musste sich diversifizieren, weil wir die Menschen nicht alleine lassen wollen bei ihrem natürlichen Drang in die Wildnis. Gleichzeitig sind wir von der Politik als Naturschutzverband anerkannt – das belegt, dass wir den Spagat authentisch leben, der auch in unserem Claim zum Ausdruck kommt: »Herausforderung.nachhaltig.Schützen«. Das sagt zum einen, dass wir die Herausforderung, die die Berge den Bergsportlern bieten, für kommende Generationen nachhaltig bewahren wollen. Und zum anderen liegt für uns eine Herausforderung darin, die Nachhaltigkeit des alpinen Naturschutzes zu realisieren. Der Haberfeldjet steht dazu in doppeltem Widerspruch: Er bedroht die wertvolle Natur des Haberfelds und gleichzeitig die alpine Herausforderung der dortigen Berge.“

Felix hielt es nicht mehr aus: „Frau Präsidentin, können Sie auch einen Satz ohne das Wort »Herausforderung« bilden? Oder ist da bei Ihrer rhetorischen Kompetenz noch Luft nach oben?“ Sibylle Bierenbaum schaute den Zwischenrufer irritiert an: „Nun … jedenfalls stellt dieses Projekt eine … ein Thema für den DBV dar. Und wir sind fest entschlossen, auch in diesem Fall wenn nötig den Klageweg zu beschreiten, um den Verlust eines unersetzlichen Naturraums zu verhindern. Denn am Ende des Tages zählt doch, was den zentralen Stellenwert einnimmt: die Affinität zu dem, was über eine besondere Bedeutung für uns verfügt – die Herausforderung Natur.“

„Des brauchst ned glaubn, dass die ohne des H-Wort auskommt“, raunte Felix' Nebensitzer ihm ins Ohr, Richi Mattscheibler vom Onlinemagazin byteauf-byteab.de, sozusagen ein Mitbewerber: „ Der DBV hat einen Haufen Kohle bezahlt für diesen hirnlosen Slogan, und die Agentur hat ihm eine der ausgelutschtesten Worthülsen aller Zeiten angedreht.“ „Es gibt eh keine Probleme mehr, nur Herausforderungen. Etwas als Problem zu bezeichnen, würde ja als Schwäche-Eingeständnis interpretiert“, gab Felix zurück. „Yes, Herausforderung ist die politisch korrekte Feigheits-Formulierung. Oder Thema, der neueste Management-Fachausdruck für etwas, mit dem man Schwierigkeiten hat. Probleme gibt’s eh nicht, nur Lösungen. Ich hab mal ne Reportage gemacht über den Tommy Vollgas, unseren BMW-fahrenden Freesolomeister; der labert in seinen teuer bezahlten Manager-Demotivationsveranstaltungen den gleichen Mist daher, so von »Wachsen am Weg als Ziel«.“

Auf der Bühne war mittlerweile wieder Nixlinger am philosophieren: „Stellat uich vor, dr Wäg ins Gebirg isch asfaltiert, un koinr will meh hi. Dui Berg miasset wild bleibe, sonsch isch es ganze Erläbnis bloß a Fata Morgana.“ Bachlinger blieb standhaft: „Das ist ein reichlich elitärer Standpunkt. Wenn man den weiterdenkt, dürfte es auch keine Straßen, befestigten Häuser, Wege und Schutzhütten, keine atmungsaktiven Anoraks und Bergseile geben. Was den Homo Sapiens vom Tier unterscheidet, ist die Emanzipation vom Zwang der Fakten, dank Intelligenz und Schaffenskraft.“ „Aber wie weit das gehen darf, muss verhandelt werden“, wandte Zirndörfer ein, und darf nicht vom blinden Walten des Marktes bestimmt sein.“

„Der Markt ist die einzig ehrliche Instanz zur Erfüllung der Bedürfnisse der Menschen, das hat schon Ludwig Erhard sinngemäß gesagt. Wir können uns ihm nicht entziehen. Wenn die Mitbewerber bessere Angebote machen, geht uns die Nachfrage verloren.“
„Und Klaus Töpfer hat gesagt, dass wir für eine ökologische und soziale Marktwirtschaft die Nutzung der Umwelt aus einem Rahmenkonzept heraus begrenzen müssen.“
Zirndörfer war ein hartnäckiger Brocken – und argumentativ gut aufgestellt. „Wenn Sie uns Grenzen setzen, limitieren Sie unsere Luft zum Atmen. Wir werden noch eine Weile dahinvegetieren, dann sind wir abgehängt. Am Wachstum führt kein Weg vorbei.“ „Ihre Argumentation erinnert mich an das Wettrüsten im Kalten Krieg. Keiner wollte anfangen aufzuhören. Vielleicht bräuchte der Tourismus einen Gorbatschow.“
„Jo Nastarowje“, trötete Nixlinger in das Rededuell, „vielluicht so oinr wia dr Naturator, oddr? Dass es Weitrmacha meh weh duad wia's Uffhöre?“
„Ja von wegen, so ein Nulldepp!“, platzte Hiasi Markner heraus, „der bewirkt ja gar nichts, der verdirbt bloß unschuldigen Skifahrern die Freude an der Freizeit.“

Die Präsidentin erhob sich und hob beschwörend die Hände: „Bitte meine Herren, beruhigen Sie sich. Gewalt kann keine Lösung sein. Auch wenn wir vom DBV der Expansion des Alpentourismus kritisch moderierend gegenüberstehen wollen, so können wir die aggressiven Akte dieses Saboteurs nicht gutheißen, schon gar nicht den Tod des Ratracfahrers, der wohl auch auf sein Konto geht. Wir können nur hoffen, dass die derzeitige Pause bei den Attentaten auch ihr Ende ist.“ Unruhe im Saal; offensichtlich hatten die Anschläge starke Emotionen ausgelöst. Martl Greinstadler ergriff wieder das Wort: „Nun, ich denke auch, dass wir dieses Thema zur Seite stellen sollten. Interessanter dürfte sein, welche Konzepte der DBV für einen neuen Alpentourismus der Nachhaltigkeit hat.“

Sibylle Bierenbaum war angesprochen: „Ich darf noch einmal auf unseren Claim verweisen: Herausforderung.nachhaltig.Schützen. Neue Wege sind gesucht im Umgang mit der begrenzten Ressource Alpen. Der DBV nimmt die Herausforderung an. Ein wichtiger Baustein dabei ist das neue Konzept der Bergsportlerdörfer: Mit diesem Gütesiegel wollen wir Alpenorte auszeichnen, die sich um nachhaltigen Tourismus bemühen, ohne Intensiv-Erschließung und unter Förderung der regionalen dezentralen Wirtschaftsakteure…“ Es dauerte noch fast eine Stunde, bis Felix endlich aus dem Festsaal ins Foyer entweichen konnte. Jede Menge heiße Luft vom Podium hatte die Atmosphäre gegen Schluss fast unerträglich gemacht. Interessant war höchstens noch gewesen, als Nixlinger irgendwann etwas von „Vrständnis fir Notwendigkeita“ herausgerutscht war. Offensichtlich war auch der Naturschutz-Fundamentalist nicht völlig frei von Kompromissbereitschaft.

„Na, was hältst Du vom innovativen Naturschutzkonzept des Grövaz?“, Richi Mattscheibler stand plötzlich neben ihm, zwei Gläser Wein in der Hand. „Gröfaz?“ „Mit „V“, Felix: Größter Verein aller Zeiten! Mit seinem neuen Profil braucht der Laden irgendwann einen neuen Namen. Oder wie wär's mit GFK? Global Funsport Community? Oder AKW – Aktiv Klettern Weltweit? FCKW – Freiluft-Club für Kletter-Wände? NSDAP – Natur-Schutz durch attraktive Produkte?“, lachte Richi, stieß mit ihm an und nahm einen tiefen Schluck – und setzte gleich zum nächsten philosophischen Höhenflug an: „Und ob Frauen wirklich die besseren Männer sind, darf man sich nach den Exkursen der Bierenbaum auch fragen. Früher hat's ja geheißen, dass Frauen die »weibliche Perspektive« in Führungsgremien bringen sollten. Aber um in einem Gremium zu landen, müssen sie eh werden wie die Männer – was ja die Gendertheorie bestätigt, nach der das biologische Geschlecht sekundär ist hinter der sozialen Formung. Wozu sollen dann Frauen an die Spitze? Nur weil sie die Hälfte der Bevölkerung stellen? Noch so ein obsoletes Argument, weil auch das biologische Geschlecht nur noch als unverbindlicher Vorschlag der Natur gesehen wird, für oder gegen den man/frau/xx sich entscheiden darf. Solange das Präsidentxx nur willenlos die Worthülsen nachbabbelt, die der Verein für teures Geld vom Unternehmensberater gekauft hat, kann es zwischen den Beinen aussehen wie es will.“
Noch ein todesverachtender Schluck vom kostenlos ausgeschenkten Wein, dann war Mattscheibler schon wieder verschwunden, um andere mit seinen Kalauern und Weisheiten zu beglücken.

„Hallo Herr Liebergsell“, Felix verschluckte sich fast, als ihm jemand von hinten auf die Schulter klopfte, „gibt das eine große Geschichte morgen?“ „Ach, Herr Kommissar!“ Was tat denn Haderbichler hier? „Viel Neues war nicht dabei. Aber wie es mit dem Haberfeldjet weitergeht, interessiert meine Leser schon. Was führt denn Sie von Kirchgaden hierher? Suchen Sie den Naturator auf dem Podium? Der Nixlinger hat sich ganz schön exponiert, aber ich glaub, der redet lieber als zu handeln.“ „Da könnten Sie Recht haben, Felix. Nee, der Fall ruht erst einmal, aber veröffentlichen Sie das bitte nicht. Da mit dem Verschwinden von Josef Seegrübler die Anschläge aufgehört haben, scheint es möglich, dass der Verdacht gegen ihn zugetroffen hat. Leider sind durch den Schneesturm, der an Heilig Abend eingesetzt hat, sämtliche Spuren von ihm verschwunden. Sein Auto stand am Parkplatz, von dem die Skitour zum Sommerloch startet, die er anscheinend machen wollte, aber oberhalb haben wir nichts mehr gefunden. Auch die Spurensicherung an den Sabotage-Orten hat nichts Verwertbares gebracht, und für die Untersuchung des Ratracs müssen wir auf den Frühling warten. Ich bin eher aus persönlichem Interesse hier. Wo ich jetzt nach langer Zeit wieder im Gebirge wohne, möchte ich auch den Hintergründen dieser Welt wieder näher kommen.“

„Verstehe. Und wie steht's mit dem praktischen Verständnis? Sollen wir vielleicht mal eine Skitour zusammen machen – wenn jetzt der Fall für Sie weitgehend erledigt ist und wir das Kriegsbeil begraben können?“ „Warum nicht? Wenn ich Ihnen nicht zu langsam bin? Ich war früher viel unterwegs, Sommer wie Winter, und würde gerne mal wieder versuchen, ob die alte Liebe wirklich nicht verrostet ist. Meine Ausrüstung habe ich nicht weggeworfen – ob sie noch salonfähig ist, weiß ich allerdings nicht.“ „Tja, mit Ein-Antennen-LVS brauchen Sie heute nicht mehr antanzen, und Ihre Spaghettiski können sie zum Einheizen verwenden. Mal sehen, vielleicht kann ich Ihnen irgendwoher Testmaterial organisieren.“

„Nee, lassen Sie mal. So enge Kontakte zur Industrie überlasse ich lieber den Experten von der Presse. Prost.“ Augenzwinkernd hob Haderbichler das Glas und nahm einen Schluck, dann verzog sich seine Miene. Felix grinste: „Tja, der Finanzchef vom DBV führt ein sehr verantwortungsbewusstes Kostenregime. Neulich war ich mal bei einer Presseveranstaltung des Südtiroler Bergevereins eingeladen, da hat uns der Vorstand hinterher in seinen privaten Weinkeller mitgenommen. Das war was anderes.“ Haderbichler schaute sich vergeblich nach einem Blumenkübel um, dann deponierte er sein halbvolles Glas erfolgreich auf dem Sockel einer Statue, die einen Steinbock im Sprung zeigte. „Na dann machen Sie's gut, Felix. Ich muss noch … S-Bahn fahren.“

Bonustrack 3 – Stinkbombe bei Bürgerversammlung
Dieser Anschlag des „Naturators“ wird im Buch nur durch die mediale Darstellung auf berge2go.de beschrieben – dabei gab’s so schönes Geschwätz und einen prächtigen Überraschungseffekt…

Der große Saal des »Schwarzen Raben« – Alpenbarock mit Stuckdecke und Wildererfresken an den Wänden – war gut gefüllt. Felix schätzte, dass etwa hundert Stühle im Raum standen, die alle besetzt waren; weitere Besucher drängelten sich bis hinten zu den vollgehängten Garderobenhaken – es war ein kühler Tag für Ende Mai. Aber ein guter Besuch für den Abend vor Fronleichnam, den Frühlings-Feierdonnerstag, den viele gerne in ein verlängertes Wochenende integrierten. Auf der Suche nach einem Platz mit halbwegs guter Sicht auf die Bühne entdeckte er ganz vorne beim Fenster einen rötlichen Strubbelkopf. Sein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Er drängte sich durch: „Silke! Was tust du denn hier? Davon hast du am Montag in der Kletterhalle gar nichts gesagt, dass du hier zur Bürgerversammlung kommen willst.“

„Ich war mir nicht sicher, ob du in deinem erschöpften Zustand überhaupt noch Informationen hättest aufnehmen können. Nee, Spaß beiseite: Ich hab erst heute auf deiner Website die Ankündigung gelesen und bin gekommen, weil ich mal sehen wollte, wie der Nixlinger-Stefan sich in der Öffentlichkeit anstellt.“ „Was findest du denn an dem?“ „Der hat in dem Ingenieurbüro, wo ich gearbeitet habe, gelegentlich Aufträge übernommen: geologisch-botanische Gutachten zu Bauprojekten und ähnlichem. Hatte Biologie und Geologie studiert und kannte sich als Bergsteiger vor allem in unseren Voralpen-Gegenden gut aus. Aber wir haben ihn irgendwann nicht mehr so oft beschäftigt, weil er teilweise schlampig gearbeitet hat und sich gerne von Kunden hat beeinflussen lassen; einige seiner Gutachten wurden vor Gericht durch Gegengutachten ausgebremst, das kommt nicht gut.“ „Aha. Macht er das heute noch?“ „Ich weiß nicht genau; hier und da taucht der Name mal auf. Aber ich glaub, er frettet sich vor allem mit Gelegenheitsjobs durch, im Sommer als Gärtner, im Winter als Liftboy und so. Jetzt hat er ja mit dem Vorsitz der „Alpine Wildlife Friends“ eine ziemlich exponierte Position erreicht; da wollte ich mal kucken, wie er sich dabei macht. Du planst was Größeres mit der Speichersee-Geschichte?“

„Naja, die Wildlife Friends haben die Sache ziemlich hochgekocht, das gibt auf jeden Fall die Chance auf viele Klicks. Was hältst du denn von dem Projekt?“ „Für mich ist der Fall klar: Die Energiewende braucht regenerative Energien. Und die fallen nicht planbar an, also muss man sie speichern. Wenn die Öl-Industrie eine Wasserstoff-Speicherwirtschaft inklusive Brennstoffzellenautos blockiert, muss man leider mit herkömmlichen Speichertechnologien arbeiten. Und da kann man die Alpen nicht raushalten, nur weil es da so schön ist. Windräder und Speicherseen sind Symbole einer erwachsenen Gesellschaft.“ „Das hast du schön gesagt, Silke. Man merkt die nüchterne Geo-Wissenschaftlerin. Ich bin ein bisschen hin- und hergerissen, weil ich es scheiße finde, dass dann auch wieder mit Alpen-Erschließung Geld verdient wird. Aber heute komm ich mal nur als Beobachter und hoffe auf ein paar plakative Statements. Ich glaub, der Nixlinger kann ziemlich gut polarisieren und dem Volk nach dem Maul reden. Ah, da kommt er schon.“

Unter dem Beifall der Besucher betrat Nixlinger den Saal, ein echter Öko-Taliban mit seinem dichten schwarzen Vollbart, Boulder-Wollmütze, weißem Leinenhemd und Wildlederhose. Hinter ihm kam Toni Zacher herein, auch ein Schwarzbart, dafür mit blanker Glatze und in volkstümlicher Kostümierung, danach ein etwas steif wirkender Mittvierziger mit Schnurrbart und scharfem Scheitel, in dunkelblauem Nadelstreifenanzug. Sie setzten sich an einen klobigen Holztisch auf der Bühne, wo schon drei Mikrofone und ein Weißbier, ein Glas Rotwein und eine Johannisbeerschorle auf sie warteten. „Griaß eich midnand“, eröffnete Nixlinger den Abend, „I derf eich herzlich willkomma hoißa zu unserer öffentliche Diskussion zom geplante Spoichrtoich am Sonnakopf. Ond i bitt eich um an Begriaßungsapplaus für dr Birgrmoischtr vo Steinöd, dr Toni Zacher! Ond unsern hohe Gascht aus dr Staatsregierung: Jeremias Brezelbub, Unterstaatssekretär im Wirtschaftsminischterium!“ Höflicher Begrüßungsapplaus; dann legte Nixlinger los.

„I brauch ned viel vrzähla über den Plan vom Konsortium »New Energy Inc.«, des wo bekanntlich von einem chinesische Finanzinvestor gelenkt wird ond am Sonnakopf über Steinöd an Spoichrtoich mit Wasserkraftwerk baue mecht. Fir ons isch ganz klar: So a Glomp kennat mir et braucha en onsere Berg. Desdrum forderet mir von dr Politik a konzeptionelle Strategie: Bevor Genehmigunge für so a Zuig ausgschproche werrat, miasset zerscht älle theoretisch in Frog kommende Standort aufgelischtet und uf Machbarkeit ond potenzielle Schädigunge untersucht werra. Henderher ka mr die verbleibende Plätz uf natur- und landschaftsschutzfachliche Relevanz ondersucha. Unsere schöne Berg dirfat net oifach planlos zubaut werra. Des isch ja unser Hoimet.“

Silke beugte sich zu Felix – er konnte ihre Wärme spüren, sie roch gut – und flüsterte ihm ins Ohr: „Der redet wie ein Unternehmer, nur der Dialekt ist populistisch.“ Felix gab zurück: „Tja, auch Umweltverbände müssen etwas verkaufen: ihre Botschaft. Sie stehen mit wirtschaftlichen Konkurrenten im Wettbewerb um die Meinungsführerschaft und die Deutungshoheit der Realität. Dabei nutzen sie im medialen PR-Wettstreit die gleichen Mittel und teilweise die gleichen Kernbegriffe – nur dreht sie jeder in seinem Sinn.“ „Aber dass der mit dem Zacher zusammenarbeitet, mit der größten Erschließungssau am Alpenrand! Das zeigt nur wieder, dass ihm für seine eigenen Ziele jedes Mittel recht ist.“

Mittlerweile war Zacher am Wort: „Der Erhalt der Schönheit der alpinen Landschaft liegt auch mir sehr am Herzen – nicht nur als Bürgermeister von Steinöd, auch als Mensch, der am Alpenrand geboren und aufgewachsen ist. Die hohen Besucherzahlen von Steinöd belegen ganz klar, wie wichtig und wertvoll das Erlebnis einer intakten Bergnatur für unsere Gäste ist. Und doppelt wertvoll ist eine gesunde Umwelt für die Einheimischen, für die von der Zufriedenheit der Gäste der Lebensunterhalt abhängt – und gleichzeitig das eigene Heimat-Erleben. Der Pumpspeichersee auf der Sonnenalm würde jahrelange Bautätigkeit bedeuten, eine von Schwerlastern befahrene Zufahrtsstraße durch Steinöds erholungswertestes Wohngebiet Sonnenhang, einen Kraftwerksbau am Tiefensee, dem berühmten »Steingäuer Meer«. Solche Eingriffe sind schlicht und einfach nicht zeitgemäß!“

Nun war der Abgesandte der Regierung dran; Jeremias Brezelbub rückte seine mitgebrachten Unterlagen vor sich zurecht, trank einen Schluck Johannisbeerschorle und begann etwas stockend: „Die Bayerische Staatsregierung sieht sich stets in der Verantwortung, den Bürgern unseres schönen Landes eine lebenswerte Zukunft zu schützen. Dazu gehört eine funktionierende Ökologie, aber auch eine gesunde Wirtschaft. Dass diese beiden Ziele sich nicht konkurrenzieren, sondern eher gegenseitig bedingen, belegt unsere neue »Central-Strategie Umwelt«, kurz CSU. Sie gibt für die Konzeptplanung von Erschließungsmaßnahmen klare Eckpfeiler vor. So arbeiten unsere Experten beispielsweise derzeit an Ausschlusskriterien, die eine schnellere Definition verbleibender Standortpotenziale zu präzisieren erlauben. Ein großer Erfolg in dieser Hinsicht war beispielsweise die Abstandsregel für Windräder gegenüber menschlichen Siedlungsräumen. Solche Werkzeuge helfen, den Bürokratieaufwand markant zu reduzieren, und tragen wesentlich dazu bei, mit dem Geld des Steuerzahlers verantwortlich umzugehen.“

Zacher schloss sich an: „Ein solches Ausschlusskriterium sollten die so genannten Bergsportlerdörfer sein, die der Deutsche Bergeverein derzeit propagiert. Wo sanfter Tourismus im Einklang mit der Landschaft gepflegt wird, kann kein Platz sein für gewinnorientierte Energieanlagen. Und ich darf heute verkünden, dass Vorder-Steinöd ein überzeugendes Konzept vorlegen wird, um als Bergsportlerdorf anerkannt zu werden.“ Ein Raunen ging durch den Saal. Das war eine ganz neue Wendung, mit der keiner der Speicherteich-Gegner gerechnet hatte. Und ein starkes Argument, das Nixlinger gleich verarbeitete: „Dademit isch älles klar. Wenn dr Sonnakopf a zentrale Roll im sanfte Tourismuskonzept vom Bergsportlerdorf Vorder-Steinöd spielt, nacherd passt do koi Spoichrtoich hi. Onsere schöne Berg vertraget koi Induschtriealage. Und dass Ihr älle do send, isch dr beschte Beweis, dass dr Bürger so an Schofscheiß ned braucht.“

Der Vertreter der staatstragenden Partei spann den Faden weiter: „Ich darf mich an dieser Stelle auf unsere Central-Strategie Umwelt beziehen: Der Wechsel zu einer stärker von regenerativen Energien geprägten Versorgungsstruktur ist an der Zeit. Aber man darf dabei die Bürger nicht überfahren oder überfordern, auch die zögerlichen müssen überzeugt und mitgenommen werden.“ Silke raunte Felix zu: „Er meint: Die Deppen brauchen ein bisschen mehr Zeit zum kapieren.“

„Und man muss regional differenzierte Konzepte implementieren“, fuhr Brezelbub fort, „da bietet gerade der Aufwind der regenerativen Energien eine Chance zur Förderung strukturschwacher Regionen; Solarfelder in der Lüneburger Heide, Windparks am Brocken nutzen geomorphologische Potenziale und stärken gleichzeitig das ökonomische Potenzial ertragsschwächerer Regionen der Bundesrepublik. Aber in der Alpenregion, die ihre Wirtschaftskraft aus einem starken Tourismus bezieht, wären solche Maßnahmen geradezu kontraproduktiv.“

Zacher ergänzte: „Und auch zu sanftem Tourismus passen diese modernen Energie-Industrien nicht: ein Bergsportlerdorf Vorder-Steinöd verträgt keine Baustelle, kein Kraftwerk, keine Hochspannungsleitungen. Unsere Gäste kommen wegen der Schönheit der Landschaft, sie wollen saubere Berge sehen.“ „Der Brocken und die Lüneburger Heide sind auch Naturschönheiten“, kam ein Zwischenruf aus dem Publikum, „auch die Menschen dort brauchen Erholung.“ Felix konnte im Profil die scharfe Hakennase von Richi Mattscheibler erkennen. Das musste er dem Kollegen lassen: Der traute sich, auch in der Öffentlichkeit kritisch-provokant aufzutreten.

Aber Brezelbub hatte gleich eine Antwort parat: „Diese Regionen müssen aber auch einen messbaren Beitrag leisten zur Realisierung einer wirtschaftlich lebensfähigen Umsetzung der Energiewende in Deutschland. Da muss die Politik eben auch mal durchregieren, wenn die Bewohner sich nicht mit den Realitäten arrangieren können. Sie können dann ja ihre Erholung im Urlaub bei uns finden, wo Naturschutz noch großgeschrieben wird.“

Mattscheibler hatte noch einen Schuss im Magazin: „Was Sie als Naturschutz verkaufen, bedeutet doch vor allem den Schutz von Privatinteressen – jeder weiß, dass Herr Zacher sein Jagdrevier und eine Jagdhütte am Fuß des Sonnenkopfs hat.“ Zachers Gesicht nahm einen Ausdruck tiefsten Grams an: „Es ist sehr bedauerlich, dass die bisher fachlich niveauvolle Diskussion jetzt auf die Ebene persönlicher Vorwürfe abgleitet. Ja, ich gebe zu, dass meine Jagdhütte am Fuß des Sonnenkopfs steht, und dass die Druckleitungen vom See zum Kraftwerk durch meinen Jagdwald geführt werden müssten. Aber selbstverständlich würde ich liebend gerne nicht nur meinen Privatgrund, sondern sogar meine Privatinteressen und –mittel opfern für den Umwelt-Zweck – wenn denn sichergestellt wäre, dass wirklich Nutzen erzielt wird. Womöglich wird der Speichersee später auch nur mit Atomstrom gefüllt.“

Brezelbub zog ein peinlich berührtes Gesicht, so dass Zacher sich beeilte, nachzujustieren: „Atomstrom, der nun mal als Übergangsenergiequelle notwendig ist. Ist es nicht auch eine Form von Nachhaltigkeit, Dinge so lange wie möglich zu nutzen? Also auch Atomkraftwerke nicht vorzeitig zu verschrotten?“ Brezelbub fiel erleichtert ein: "Wenigstens haben wir in Bayern keine Braunkohle … äh … -kraftwerke. Unsere Weste ist sauber, nicht braun."

Stefan Nixlinger beeilte sich, die Diskussion wieder in klassischere Bahnen zu lenken: „Des glaubet mir dem Zacher-Toni, dass der ned auf die oine Jagdhütt agwiese isch, der hod ja noch andere au. Aber für den Spoichrtoich roichts ned als Begründung, dass der bloß an Nutza bringe dät – mir wellet den oifach ned habe in onserer schöne Landschaft. Mir saget: Noi. Mir saget: Ons schtinkt’s!“ „Ond wie des schtinkt!“, kam ein Zuruf aus dem Publikum, der gleich unterstützt wurde: „Saumäßig!“ – „Ja so a Sauerei!“ – „Pfui Deifi!“ Nixlinger grinste triumphierend – dann aber rümpfte er die Nase: „Ja was isch denn des?“

Jetzt wurden auch Felix und Silke an ihrem Fensterplatz ganz vorne von einer Geruchswolke erreicht, die sie nach Luft schnappen ließ. In Felix' Gymnasium hatte einmal eine Klasse als Abitur-Scherz das ganze Schulhaus mit Buttersäure verpestet; der Gestank hatte noch drei Wochen lang die Atmosphäre vergiftet. Was hier in der Luft hing, war aber frisch – und stank wie hundert tote Ratten im Gärbottich der Kläranlage. Silke stürzte zum Fenster und riss beide Flügel auf, aber das brachte keine wesentliche Linderung. Als ob es brennen würde, drängten die Besucher durch die enge Türe im Hintergrund des Saales. Gerade noch rechtzeitig besann sich Felix auf seinen Job und riss die Kamera heraus: Das würde zumindest eine schöne Fotostrecke geben, wie sich Nixlinger, Zacher und der Politiker mit zugehaltenen Nasen durch den Bühneneingang quetschten.

Bonustrack 4 – Iwans kleiner Russischkurs
»Iwan der Große« Lochnow trägt seine Emotionen oft an der Oberfläche. Die russischen Schimpfwörter, die er verwendet, gelten teilweise als reichlich unfein. Aber vielleicht mag man trotzdem wissen, was er uns sagen will? Nicht alle recherchierten Sprachschätze haben’s tatsächlich ins Buch geschafft – aber sie bieten einen Überblick über Iwans Denkwelt.

Akumuljatory Eier
Aljo! am Telefon Hallo
Amortisator Kondom
Astaroschna! Vorsicht
atassnyj Geil, dufte
Babnik Schürzenjäger
Baboukladtschik »Büchsenöffner«
barathsja Vögeln
Bardak Bordell
Bassran Mistkerl
Belokurwa Blondchen
Blin! Verflixt!
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da swidanja Auf Wiedersehen
Dirmo Scheiße
Djewuschka Junge Frau
Dura/k Dummkopf/in
Gowna Scheiße
Jebat ticken
jobtwojumat fuck your mother
Kabjel Hund
kraßíwája schénschina Frau, schön
Krawat Bett
napliwat scheißegal
Ninormalnyj Schwachkopf
nitschiwo Macht nichts
nje charascho Nicht gut
Paka Tschau
paschalußka bitte
Paschol/pascha won (m/f) Hau ab!
Pisda Fotze
prakljatje Verdammt!
Priwjet Servus!
sakaditschni Drug Kumpel
satkniss Halt die Klappe!
Schona Arschloch
Schto? Was?
Sdraßte Hallo
Ssuka Bitch, Hündin
Sutschasnik Kumpan, Mittäter